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Study Tour "Lean Hospital"

Study Tour „Lean Hospital“ 2018 – Ein Erfahrungsbericht

Inspiriert in Seattle. Diese Studienreise hat mein Denken und meine Wahrnehmung verändert.

Ein Blogpost von Margot Tanner, Senior Consultant bei walkerproject

Die Study Tour „Lean Hospital“ von H+ Bildung: Eine Woche lang Seattle mit Besuchen bei Swedish Hospital, Boeing, Virginia Mason Medical Center, Everett Clinic at Smokey Point und Seattle Children’s, eine Lean Journey der besonderen Art!
Gestartet bin ich mit aufgeregter Vorfreude, so nahe an den Ort des Geschehens zu den Vorreitern von Lean Hospitals zu kommen. Ich wollte erfahren, wie die Radikalität des unbedingten Ansatzes von „Patient zuerst“ in der Realität gelebt wird. Was braucht es, um die Theorie als Kultur sowohl in der Führung wie auch bei den Mitarbeitenden zu verankern? Welchen architektonischen Fussabdruck hinterlässt die konsequente Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Patienten? Ich wollte die Prozesse einer der erfolgreichsten ambulanten Kliniken mitverfolgen. Kurzum, ich war neugierig und wissbegierig. Ich erwartete intelligente Lösungen und aussergewöhnliches Design. Meine Erwartungen wurden übertroffen. 
Daniel Walker führte uns, eine hochkarätige Gruppe von 11 Personen aus dem Gesundheitswesen und der Architektur, während fünf Tagen souverän durch die verschiedenen Stationen. Die Tage waren dicht und flott durchgetaktet. Abends erholten wir uns bei hervorragendem Essen (ja, das gibt es wirklich in Seattle) und bei intensiven Gesprächen zum Erlebten.
Im Notfall von Swedish Edmondson Campus lernte ich, dass ein schnelles medizinisches Erstassessment durch eine medizinische Fachperson (rapid assessment provision, RAP) die Aufenthaltsdauer im Notfall um 30 Minuten verkürzen kann! Dabei sah die RAP Koje sehr bescheiden aus, sie glich eher einer im Amerikanischen Design gehaltenen Büroecke. Doch sie erfüllte offenbar ihren Zweck, den Notfallfluss zu steuern. Denn das RAP filterte jene Personen heraus, die sofort versorgt werden müssen und nicht zur nächsten Stufe, der schnellen medizinischen Evaluation (rapid medical evaluation), zugeführt werden können.

 

RAP-Koje (Rapid Assessment Provision)

 

Bei Boeing beeindruckte mich nicht nur die schiere Grösse der Produktionshalle, sondern insbesondere die Commando-Zentrale, in der gerade die Fertigungslinie des neuen Flugzeugmusters 777X aufgegleist wurde, zeitlich parallel zur Fertigentwicklung. Konsequent nach dem Modus „lay foundation“, „stabilize“, „standardize“ and „sustain“ wurde die „Lean Production“ systematisch organisiert, alles Überflüssige weggelassen und ganz im Sinne von „Alle Leistungen zum Flugzeug“ vorbereitet.
Will man erleben, wie die Lean Philosophie zur gelebten Kultur wird, ist man bei Virginia Mason am richtigen Platz.  Virginia Mason hat es geschafft, von einer „Provider First“ Mentalität in die radikale „Patient First“ Haltung überzugehen. Das zeigte sich uns nicht nur im Engagement der einzelnen Mitarbeitenden, sondern auf Schritt und Tritt im intelligenten Prozessdesign. Überzeugt hat mich insbesondere die Intensive Care Unit mit den dezentralisierten Überwachungsstationen im Flur, die Patientenzimmer mit klarer Zonierung und Retablierung des Materials von aussen sowie dem strikten Verzicht auf fixes Mobiliar, wo immer möglich („no monuments!“).

 

IMC-Zimmer im Virginia Mason

 

Verblüffend war zudem die Statistik der Orthopädie zur durchschnittlichen Aufenthaltsdauer bei Hüft- und Knieoperationen: 43 (Hüfte) resp. 46 (Knie) Stunden! Um diese Verkürzung der Aufenthaltsdauer zu erreichen, verfolgt der Fachbereich eine zielorientierte Teammedizin, in welcher die frühe Mobilisierung der Patienten integraler Bestandteil ist.

Die Everett Klinik at Smokey Point begeistert mit ihrer unermüdlichen Ambition, die ambulante Versorgung auf die Bedürfnisse des Patienten auszurichten. Das zeigt sich im überzeugenden architektonischen Design: die Form folgt konsequent den Funktionen. Diese richten sich an den patienten-fokussierten Prozessen aus, die ihrerseits von der klaren strategischen Ausrichtung getrieben sind, einen Mehrwert für den Patienten zu schaffen. Die Form wurde denn auch im Rahmen des sog. „Integrated Facility Designs mit Patienten und Mitarbeitenden von Beginn weg prototypisiert, getestet und nach dem Bau weiterentwickelt. Entstanden ist ein in seiner Klarheit gewinnendes Modulkonzept aus Sprechzimmern und Team-Arbeitszone, das sich standardisiert überall replizieren lässt, sogar als kleine Einheit in einem Einkaufszentrum. Um dieses Modulkonzept auf die Schweiz zu übertragen, müsste es den Architekten unter Beibehaltung der prozessorientierten Form gelingen, Tageslicht in die Team-Arbeitszone zu bringen. Dem scheinen die Amerikaner kaum Bedeutung zuzumessen, ebenso stören sie sich offensichtlich wenig an der eher spartanisch-nüchternen Ausstattung.

 

Teamarbeitszone
Teamarbeitszone in der Everett Clinic

 

Dann kam für mich der Höhepunkt der Study Tour: das Seattle Children’s Hospital, insbesondere der intelligent durchdachte Notfall und die auf maximale Patientensicherheit und lean Prinzipien getrimmte ambulante Chirurgie. Der Patientenfluss ist ingeniös auf den kleinen Patienten und seine Angehörige ausgerichtet. Es wird konsequent mit Checklisten und unidirektionalem Fluss gearbeitet. Es wird standardisiert, wo sinnvoll, um Kapazität für das Einzigartige eines jeden Patienten zu schaffen. Mit dieser Radikalität schafft es die Institution seit über 25 Jahren eines der führenden Kinderspitäler zu sein.

 

Kommandozentrale
Kommandozentrale im Seattle Children’s Hospital

 

Die Study Tour „Lean Hospital“ von H+ Bildung hat mir gezeigt, dass Lean nicht einfach ein Mode- oder für andere vielleicht sogar ein Unwort ist, sondern dass dahinter eine von nachhaltigem medizinischen und wirtschaftlichen Erfolg gekröntes System steckt, das zur Reise einlädt, anders zu handeln, zu denken und zu führen.

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