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„Ambulant vor stationär“ – Kurzbericht aus San Francisco

„Disruptiv“ bedeutet im Klartext: Das wird die Gesundheitsversorgung auf den Kopf stellen.

von Daniel Walker, dieser Tage unterwegs mit Melody States, Chief Operating Officer von über 30 ambulanten Surgery Center in Kalifornien und Prof. Gian Melcher, Medical Expert von walkerproject.

„Disruption“

„This will disrupt the Industry“ ist eine Aussage, die wir in diesen Tagen oft hören. Seit über 20 Jahren betreiben die Gesundheitsdienstleister in den USA sogenannte ASC – „Ambulatory Surgery Center“. Die meisten von ihnen „freestanding“, das bedeutet ohne Anbindung an ein Krankenhaus. Ambulantes und stationäres Geschäft zu vermischen hat sich als völlig untauglich erwiesen. Das stationäre Geschäft ist kulturell nicht in der Lage, schlanke Prozesse durchzusetzen. Chirurginnen und Chirurgen haben dazu eine dezidierte Meinung. Sie arbeiten lieber im ambulanten Setting, weil es weniger kompliziert, weniger bürokratisch, patientenfreundlicher und sicherer ist. Patienten wollen das, vor allem, wenn sie es einmal erlebt haben. Ambulante OP Zentren nehmen heute rund 80 Prozent der Eingriffe wahr, die an Patientinnen und Patienten vorgenommen werden. Mit ein paar Veränderungen im Entschädigungssystem wurde dieser Wandel wesentlich beschleunigt. Heute spielt es für die Ärzteschaft keine Rolle mehr, ob sie eine Operation im Krankenhaus oder in einem ambulanten OP Zentrum durchführen. Sie erhalten für den Eingriff dieselbe Entschädigung.

Zehn mal mehr Tote als im Strassenverkehr

Das Krankenhaus ist ein unsicherer Ort. In den USA kommen in Krankenhäusern zehnmal mehr Menschen aufgrund von Fehlern um als im Strassenverkehr. Patientinnen und Patienten beginnen das zu verstehen. Sie gehen nach einem Eingriff lieber nach Hause, zudem laufen sie in Gefahr, im Spital einen Infekt einzufangen. Ambulantes Operieren bedeutet, einige Dinge wegzulassen und dafür andere hinzuzufügen. Patientinnen und Patienten müssen vor dem Operationstag viel besser auf die Zeit nach der OP vorbereitet werden. Die Schulung geschieht nicht nur durch Ärzte, sondern auch durch Pflegefachpersonen. Diese sind speziell geschult. Überhaupt fällt es auf, wie viele Aufgaben durch die Pflege wahrgenommen werden. Die Berufsgruppe scheint die Patientenedukation sehr gut wahrzunehmen. Sicherheit entsteht dadurch, dass Patientinnen und Patienten mitmachen. Sie erhalten eine aktive Rolle im Geschehen. Das reduziert Risiken. Nach dem Austritt ist man nicht alleine. Die Betreuung Zuhause ist organisiert. Patientinnen und Patienten können rund um die Uhr Hilfe anfordern und mit der Person in Kontakt treten, die sie operiert hat. Untersuchungen zeigen, dass sich Patienten im ambulanten Setting sicherer fühlen.

Kosten sind eine Herausforderung

Während die Ärzteschaft im ambulanten Geschäft gleich entschädigt wird wie im Krankenhaus, gilt dies für die Institutionen nicht. Ambulante OP Zentren erhalten für ihre Leistungen weniger Geld als das Krankenhaus. Deshalb werden die ASC (Ambulatory Surgery Center) auf Effizienz getrimmt. Ein einfaches Beispiel mag das veranschaulichen. Wir haben in San Francisco ein Endoskopie-Zentrum besucht. Dort werden auf 420 Quadratmeter Fläche rund 8500 Eingriffe im Jahr durchgeführt. Dies entspricht 20 Eingriffen pro Quadratmeter. Bei einem Quadratmeterpreis von 900 Dollar im Jahr ergeben sich Infrastrukturkosten von 45 Dollar pro Patient. Das sind rund 7 Prozent der Gesamtkosten. Auf dieser knappen Fläche werden auch noch die Endoskope aufbereitet. Der EBITDA dieses Zentrums liegt übrigens bei über 50%. Die Zahlen sind nicht unbedingt vergleichbar mit den Verhältnissen in europäischen Ländern. Beeindruckend sind sie trotzdem.

Architektur der ASC hinkt hinterher

Es mag nicht erstaunen, dass schlanke Prozesse der Schlüssel zu einem gut funktionierenden ASC sind. Es hat viele Jahre gedauert, bis sich die Architekten vom dominanten Design eines stationären OP verabschieden konnten. Teilweise wird immer noch zu viel Fläche verschwendet. Es ist herausfordernd, ein gutes ambulantes Design zu finden. Als erstes sind die Tageskliniken verschwunden. In den neueren ASC verschmelzen OP Vorbereitung, OP Einleitung, der OP selber, die Aufwachräume, die Endoskopieräume und die Tagesklinik zu einer einzigen Einheit. Die verschiedenen Flüsse von Patientinnen, Angehörigen, Anästhesistinnen, Chirurgen, Pflegefachpersonen, Medikamenten, Geräten, Material usw. sind auf einander abgestimmt und soweit möglich getrennt. Der Fluss der Patientinnen und Patienten ist dabei der Wichtigste. An ihm orientieren sich alle anderen Flüsse. Was auffällt: es gibt noch kein wirklich überzeugendes dominantes Design der ASC. Auch die neu eröffneten ASC haben zu viel Fläche, zu lange Wege und zu wenig Transparenz im Gebäude.

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