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Die Zukunft der Regionalspitäler ist ambulant – Gedanken zur erfolgreichen Transformation

Vom Regionalspital zum ambulanten Gesundheitszentrum – Flucht nach vorne oder Rettung in höchster Not?

Kaum jemand dürfte bestreiten, dass sich das Gesundheitswesen im Umbruch befindet. Digitalisierung, von stationär nach ambulant, gesetzliche Regulation, neue Marktteilnehmer, medizinischer Fortschritt, gesellschaftliche Veränderungen, Ressourcenknappheit und Kostendruck – zahlreiche, höchst unterschiedliche Dynamiken sind dabei, die Branche zumindest teilweise auf den Kopf zu stellen. Angesichts der Dynamik ist es schwierig vorherzusagen, wohin die Reise geht. Was klar ist: es handelt sich um einen Strukturwandel und wer zu lange abwartet, gerät ins Hintertreffen. Was ebenso klar ist: aus Sicht eines Krankenhauses ist in diesem Prozess eine gewisse Grösse von Vorteil. Höhere Patientenvolumina ermöglichen die aus Sicht der medizinischen Qualität nötigen Fallzahlen, machen es einfacher, gewisse Vorhalteleistungen zu tragen und bieten mehr Möglichkeiten zur Querfinanzierung. Dazu kommen Skaleneffekte, was gerade im Hinblick auf digitale Lösungen ein entscheidender Vorteil sein kann.

Je nach Situation eines Regionalspitals können höchst unterschiedliche Gründe für ein ambulantes Gesundheitszentrum sprechen. Die Transformation zum ambulanten Zentrum kann eine Alternative zur sukzessiven Schliessung sein oder aber als Innovationsvehikel dienen und helfen, eine heute gut aufgestellte Organisation auf die Zukunft vorzubereiten. In unseren Projekten sind wir unterschiedlichen Argumenten begegnet:

  • Kostenreduktion durch Auslagern des ambulanten Geschäfts in eine besser geeignete (und dadurch weniger teure) Infrastruktur
  • Sicherstellen einer hochwertigen und wohnortsnahen medizinischen Versorgung
  • Auffangen von Lücken in der hausärztlichen Grund- und Notfallversorgung
  • Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Partnerschaften
  • Organisationales Lernen: wie funktionieren z.B. ambulante Operationen?
  • Verschaffung eines strategischen Vorteils gegenüber der Konkurrenz

Darüber hinaus existiert eine grosse Unsicherheit, welche kaum beeinflusst werden kann: wie entwickeln sich die Tarife im ambulanten Bereich? Kommt die von manchen seit langem erwartete Erhöhung? In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, wie die Kantone reagieren, wenn die Spitäler zunehmend in ambulante Geschäftsmodelle investieren.

Umgang mit Risiken, Interessengruppen und Emotionen

Die Planung eines ambulanten Gesundheitszentrums weckt rundum Emotionen, positive wie negative. Emotionen verleiten einen dazu, Abkürzungen der Extra-Meile vorzuziehen, ohne nähere Nachforschung Dinge zu glauben, die ins eigene Wertesystem passen. Unsere Projekterfahrung zeigt deutlich: es ist selten so einfach, wie zuerst gedacht. Ein bedachtes, umsichtiges Vorgehen unter Berücksichtigung aller Risiken und Interessen lohnt sich auf alle Fälle. Eine unübersichtliche, in hohem Masse voneinander abhängige Menge an Handlungsoptionen und Anspruchsgruppen sorgt für eine nicht zu unterschätzende Komplexität. Einige Dinge sind dabei universeller Natur, andere können sich von Fall zu Fall diametral unterscheiden. Mit den folgenden Themen werden wir regelmässig konfrontiert:

  • Aus Sicht der Bevölkerung vermittelt ein nahegelegenes Spital, besonders dessen Notfall, ein Gefühl von Sicherheit. Dazu kommt, dass der Durchschnittsbürger oftmals nicht genau Bescheid weiss, was tatsächlich angeboten wird und inwiefern sich dies vom geplanten ambulanten Gesundheitszentrum unterscheidet. Ein Abbau von Gesundheitsleistungen findet in der Schweiz keine Mehrheiten. Wer nicht vorausschauend den Dialog sucht, riskiert politischen Schiffbruch.
  • Aus Sicht der Zuweiser bedeutet ein ambulantes Gesundheitszentrum auch eine gewisse Konkurrenz. Wie lässt sich das Projekt realisieren, ohne die lebenswichtige Beziehung mit den Zuweisern der Region zu gefährden?
  • Mitarbeitende fürchten um ihre Arbeitsstelle oder dass sie zukünftig an einem neuen Standort tätig sein müssen. Auch sie wissen, ein ambulantes Zentrum benötigt in der Tendenz weniger Personal als ein Spital mit stationärer 24/7-Betreuung. Fachpersonal, welches im ambulanten Zentrum tätig ist, fehlt in dieser Zeit im Spital. Zudem wird nicht jeder Person, die in einem stationären Setting gearbeitet hat, die Arbeit im neuen Zentrum gefallen. Das alles lässt sich nicht wegdiskutieren. Je früher die Mitarbeitenden Klarheit haben, wie es um ihre berufliche Zukunft steht, desto besser. Ein unterschriebener Vertrag ist mehr wert als tausend Versprechen.
  • Welche Leistungen finden zukünftig an welchen Standort statt? Die bestehende, stationäre Infrastruktur ist häufig nicht geeignet für den Betrieb eines ambulanten Zentrums. Zu gross, historisch gewachsen, ungeeignet für ambulante Prozesse, am falschen Ort. Was geschieht mit dem freiwerdenden Platz im bisherigen Spital? Eine Umnutzung ist in der Realisierung nicht ohne, kostet Geld und der Weg dahin kann mit juristischen Hürden gespickt sein.

Diese Herausforderungen betreffen in unterschiedlicher Ausprägung alle ambulanten Gesundheitszentren. Man geht bei allen Chancen auch ein strategisches Risiko ein. Es gilt herauszufinden, welche Angebote in welcher Menge mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Kosten und Erträge generieren. Es gilt abzuschätzen, welche Angebote sich gegenseitig begünstigen, wieviel Freiraum für Wachstum nötig ist und wie dieses Wachstum wiederum strategisch gesteuert werden kann. Die gute Nachricht: die Komplexität lässt sich bewältigen. Aber es braucht eine Menge Arbeit.

Vision, Angebotsplanung, Partner-Netzwerk, Dialog mit Interessengruppen, und wieder von vorne. Ein iterativer Ansatz zur Annäherung ans ideale ambulante Zentrum.

Die Konzeption und Planung eines ambulanten Zentrums konfrontierten einen mit grossen Mengen an unterschiedlichen Informationen. Qualitative, quantitative, objektive und subjektive Daten und Einschätzungen, von Experten, Laien, von internen und externen Quellen. Manche müssen mühsam zusammengesucht werden, andere sind einfach da, ob man will oder nicht.  Manche sind vollständig und passen zusammen, lassen sich in einem Modell aufrechnen. Die meisten sind jedoch so unterschiedlich in Struktur und Qualität, dass sie nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kombiniert werden können. Kurz:  Der Versuch, all diese Inputs auf einmal zu verarbeiten, ist zum Scheitern verurteilt. Ein serielles Abarbeiten der Themen wird der Komplexität des Vorhabens nicht gerecht und unweigerlich zu mässig sinnvollen Ergebnissen führen.

Erfolgsversprechender ist ein iteratives Vorgehen in sorgfältig geplanten Lernschlaufen. Ausgehend von einem groben Zielbild werden häppchenweise weitere Informationen berücksichtigt und die Konfiguration des ambulanten Zentrums Schritt für Schritt weiterentwickelt. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass z.B. das medizinische Angebot im Zentrum mehrmals überarbeitet wird. Mit jeder Überarbeitung steigt aber auch die Sicherheit, das Richtige zu tun. Die nachfolgende Struktur gibt einen Überblick, welche Phasen ein solches Projekt typischerweise durchläuft.

Phase 1: Vorstudie / Grobkonzept. Hier geht es darum, die Vision zu schärfen und das Spielfeld zur Realisierung dieser Vision abzustecken, das heisst die Anzahl valabler Handlungsoptionen zu reduzieren. Es ist sinnvoll, verschiedene, realistisch erscheinende Varianten des ambulanten Gesundheitszentrums zu quantifizieren damit alle Beteiligten ein Gefühl dafür entwickeln, in welcher Grössenordnung man unterwegs ist hinsichtlich Patientenvolumen, Flächenbedarf und Finanzen.

Phase 2: Studie / Detailkonzept. Die groben Varianten aus Phase 1 werden ausdetailliert und im Detail geprüft. Das bedeutet, einerseits den Detailgrad zu erhöhen, andererseits mit den verschiedenen Anspruchsgruppen und insbesondere möglichen Partnern konkrete Gespräche zu führen.

Phase 3: Umsetzungsplanung. Nun wird es konkret. Es gilt zu klären, wie der operative Betrieb, die strategische Weiterentwicklung und die Finanzierung des ambulanten Gesundheitszentrums genau funktionieren. Dazu gehört auch, die architektonische Planung und die IT-Konzeption auf das Angebot und die Prozesse abzustimmen oder Beschaffungsfragen zu klären.

Phase 4: Realisierung. Die eigentliche Umsetzung: vom Bau über die Rekrutierung und Inbetriebnahme bis zur Vermarktung. In dieser Phase werden die Pläne in die Tat umgesetzt und das ambulante Gesundheitszentrum nimmt seinen Betrieb auf.

Unsere Projekterfahrung zeigt, dass es entlang dieses Prozesses einige Erfolgsfaktoren gibt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

  • Das Warum klären und eine gemeinsame, kommunizierbare Vision entwickeln. Es gibt tausend Gründe für und gegen ein ambulantes Gesundheitszentrum oder ein bestimmtes Angebot in diesem Zentrum. Klarheit zu haben, warum man etwas tun will, ist die Grundvoraussetzung.
  • Transparenz schaffen bezüglich Fallzahlen, Leistungen und Qualität, sowohl in der Innen- wie auch der Marktperspektive. Dazu gehört auch, blinde Flecken zu erkennen.
  • Den Business Case kontinuierlich nachziehen, ausdetaillieren und sich vor allem auch dessen Schwachpunkten und Unsicherheiten bewusst sein.
  • Der vorausschauende Einbezug von Interessengruppen bedeutet, die Politik, die Bevölkerung, Gesundheitsversorger der Region und komplementäre Anbieter (von der Spitex bis zum Kinderhort) frühzeitig einzubeziehen, diesbezüglich während des gesamten Projekts am Ball zu bleiben und einem Plan zu folgen. Denn wer nicht plant, reagiert. Und wer reagiert, ist praktisch immer einen Schritt zu spät. Ein konstanter Austausch hilft, um falsche Erwartungen, Ängste und Gerüchte zu entschärfen. Ansonsten kann sich die im Veränderungsprozess entstehende Energie zu einem massiven politischen Widerstand bündeln.
  • Die Bedürfnisse der Patienten, Mitarbeitenden, Zuweiser sowie Politik verstehen und für diese gezielt Mehrwerte schaffen. Wer ein unternehmerisches Risiko eingehen will und Leute von einer Veränderung begeistern will, muss aufzeigen, was für jede einzelne Partei besser wird.
  • Wohldosiert Mut und Zuversicht verströmen. Es gibt immer jemanden, der sagt “das geht nicht”. Wer beim ersten Widerstand vom Idealbild abrückt, hat am Schluss nichts erreicht.

Die Planung und Realisierung eines ambulanten Gesundheitszentrums ist eine Herausforderung. Ein systematisches Vorgehen stellt sicher, dass die beeinflussbaren Faktoren unter Kontrolle bleiben und die Risiken im Gesamtvorhaben tragbar sind. In den nächsten Jahren werden zahlreiche Anschauungsbeispiele dazu kommen, Musterschüler und Sorgenkinder gleichermassen.

Sind Sie ebenfalls dabei, ein ambulantes Gesundheitszentrum zu planen? Haben Sie die gleichen Erfahrungen gemacht wie wir? Wo haben wir unsere blinden Flecken? Wir freuen uns über jeden Austausch zum Thema!

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