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value based health care

«Value-based Healthcare»: Wirksam gegen steigende Gesundheitskosten?

Ist «Value-based Healthcare» (VBHC) ein Trend, der umfasst, was Lean Healthcare, Population Health und integrierte Versorgung seit Jahren anstreben? Eine walkerproject Blog- Serie beleuchtet verschiedene Aspekte zum Thema VBHC.  Zum Auftakt: ein Blick auf die Patient-Reported-Outcome-Messungen (PROMs), die derzeit in aller Munde sind.

Ein Artikel von Dr. Margot Tanner, Managerin bei walkerproject 

Garantiert wirksam gegen Schmerzen!

Als Jugendliche traute ich mir in der Turnhalle allerlei Kunststücke zu. Da kam es schon mal vor, dass ich mit einem verstauchten Gelenk oder einer gerissenen Muskelfaser auf der Matte landete. Der Gang zum Hausarzt endete meistens mit eine Packung Schmerzgel (was wenig nutzte).

Das Gel erinnerte mich aber an meine Grossmutter.  Seit Jahren plagte sie eine chronisch-entzündliche Erkrankung ihrer Gelenke. Zuletzt hatte Knochen auf Knochen gerieben, was zusätzlich zu den Entzündungsschmerzen zu Hüftschmerzen und schliesslich zu einem neuen Hüftgelenk führte.

Die behandelnden Ärzte, Dr. med. Anita Balinck, ausgewiesene Arthritis-Expertin, und der Facharzt für Hüftchirurgie, Dr. med. George Haske, gingen lege artis nach evidenz-basierten klinischen Praxisleitlinien vor. Sie konzentrierten sich primär auf klinische Messdaten sowie auf die Komplikationen im Zusammenhang mit der eingesetzten Hüftprothese.  Miteinbezogen in die Überlegungen der Ärzte wurde meine Grossmutter nur am Rande, wenn überhaupt.

«Value-based Healthcare»: Garantiert wirksam gegen steigende Gesundheitskosten?

Jahrzehnte später verfolge ich mit grossem Interesse den Ansatz von «Value-based Healthcare» (VBHC). Treibende Kraft hinter diesem seit 2006 sich verbreitenden Konzept ist der in Harvard lehrende Ökonom Michael E. Porter. Sein oberstes Ziel: die bestmögliche Gesundheitsversorgung zu erschwinglichen Kosten. Er denkt die Gesundheitsversorgung radikal neu und orientiert sich strikt am Nutzen des Gesundheitswesens für den Patienten. Er fragt nach dem eigentlichen Wertversprechen einer medizinischen Versorgung und definiert «Value» als das Verhältnis von patientendienlichen Behandlungsergebnissen zu den dazu aufgewendeten Ressourcen.

Die Gesundheitsversorgung müsse kontinuierlich einen Mehrwert für den Patienten schaffen. Dieser entstehe – trivialerweise – durch die Erhöhung der Qualität, die Fokussierung auf Prävention sowie durch eine adäquate Versorgung. Diese erfolgt im Idealfall zur richtigen Zeit und durch die richtigen Fachpersonen.

Dazu braucht es nicht ein Mehr an Leistung, sondern ein Mehr an behandlungsübergreifender und über die Zeit hinweg gemeinsam getragener Verantwortung für das angestrebte Behandlungsergebnis und die dafür aufgewendeten Mittel. In der Zwischenzeit gibt es genügend Evidenz, dass Versorgungsmodelle, in denen Ärzte in die Qualitäts- und Kostenmitverantwortung eingebunden und schliesslich auch daran gemessen werden, zu verbesserter Behandlungsqualität zu erschwinglicheren Kosten führen.

Patient-Reported Outcome Messungen (PROMs): Garantiert gut für das gute Arzt-Patienten-Gespräch und das Werteversprechen.

Doch wie misst man patientendienliche Behandlungsergebnisse, die den gesamten Behandlungszyklus über die einzelnen Versorgungsstufen berücksichtigen? Porter ist überzeugt, dass nicht nur der erreichte Gesundheitszustand zählt. Auch der Gesundungsprozess und die Nachhaltigkeit des erreichten Gesundheitszustands (Langzeitnutzen) müssen einbezogen werden.

Am Beispiel meiner Grossmutter mit ihrer entzündungsbedingten Gelenkzerstörung und ihrem neuen Hüftgelenk könnte sich dies folgendermassen abspielen: Dr. Balinck misst zur Einschätzung des Krankheitsverlaufs den Entzündungsgrad und erhebt die Krankheitsaktivitäten an den verschiedenen Gelenken. Dr. Haske erhebt klassisch die klinischen und radiologischen Daten.

Ausserdem registriert er allfällige Komplikationen wie Infektionen oder einen ungeplanten Wiedereintritt innerhalb von 30 Tagen nach dem Einsetzen des künstlichen Hüftgelenks. Meine Grossmutter ihrerseits gibt nun mit den PROMs ergänzend ihre Sicht auf die Behandlungsergebnisse und den Gesundungsprozess. Dazu füllt sie Fragebogen aus, die die in ihrer Aussagekraft überprüft sind.

Wenn möglich beantwortet sie die Fragen von zu Hause aus, bevor sie zum nächsten Arzttermin geht. Sie gibt an, wie stark ihre Schmerzen in den vergangenen sieben Tagen waren. Sie berichtet, wie geschwollen ihre Gelenke sind. Wie beweglich sie sich einschätzt – insbesondere in Bezug auf ihr neues Hüftgelenk. Ob sie beispielsweise selbständig aus dem Bett steigen und sich anziehen kann. Wie gut das Treppensteigen geht.

Systematisch beantwortet sie mit ihren Kreuzen Fragen nach dem selbständigen Ausüben verschiedener Tätigkeiten. Ebenso gibt sie Auskunft über ihre momentane gesundheitsbezogene Lebensfreude und Vitalität. Es interessiert auch, wieweit sie weiterhin ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen kann. Es stehen somit Aspekte im Vordergrund, die für ihre Lebensqualität von Bedeutung sind.

Kommt meine Grossmutter dann zum Arzttermin mit Dr. Balinck oder Dr. Haske, liegen die Daten bereits ausgewertet und visualisiert vor. Seit sie diese Fragebogen ausfüllt, fühlt sich meine Grossmutter stärker in die Mitverantwortung ihres Gesundungsprozesses eingebunden. Sie übernimmt auch mehr Eigenverantwortung. Sie ist begeistert davon, dass auch ihre beiden Ärzte gut auf das Gespräch vorbereitet sind. Denn der schnelle Blick auf die Ergebnisse hilft auch ihnen. Das Gespräch ist fokussierter.

Der Dialog zu den PROMs, der Vergleich mit den Ergebnissen aus den vergangenen Erhebungen, hilft Dr. Balinck und Dr. Haske das unmittelbar persönliche Erleben meiner Grossmutter nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Daten werden sowohl vor Behandlungsbeginn und dann mit der Behandlung respektive nach dem Eingriff alle sechs bis zwölf Monate und später in einem mehrjährigen Rhythmus erhoben. So lässt sich auch die Nachhaltigkeit des Gesundheitszustands gut ermitteln. Forschungsberichte belegen den Wert der Informationen, die über die PROMs gesammelt werden, dies sowohl für die Bewertung der Behandlungsansätze wie auch für die allfälligen finanzielle Analyse der aufgewendeten Ressourcen.

Value-Based Healthcare PROMs

Garantiert anspruchsvoll

Bei aller Euphorie, die einem bei «Value-based Healthcare» und PROMs befallen kann:  Die Umsetzung solcher transformierenden Ansätze ist anspruchsvoll. Sie erfordert erhebliche Veränderungsbereitschaft, sowohl beim Patienten als auch beim medizinischen Personal. Das Engagement aller Beteiligten ist zentral. Das Ausfüllen von Fragebögen ist nicht jedermanns Sache. Fragmentiert gespeicherte klinische Daten müssen zu einem Ganzen zusammengeführt werden. Auswertungen und Visualisierungen auf Knopfdruck kommen nicht von alleine und schon gar nicht gratis.

Viele Fragen, sowohl konzeptioneller wie auch praktischer Art, sind in diesem Zusammenhang noch nicht gelöst. Die Indikationsstellung muss ebenso sauber gemessen werden wie das Behandlungsergebnis. Nicht alles, was messbar ist, ist sinnvoll. Nicht alles, was sinnvoll ist, ist messbar. Risikoadjustierung muss genauso berücksichtigt werden wie die Komplexität einer behandelten Patientenpopulation. Institutsinternes, regionales, nationales und internationales Benchmarking zusammen mit Peer-Reviews wollen gut organisiert sein. Es braucht eine Kultur, die das Voneinander-Lernen-Wollen fördert, dies mit dem Ziel einer langfristig bezahlbaren patientendienlichen Qualität.

Eine solche Kultur lohnt sich. Die Vergleiche zwischen verschiedenen Behandlungsprogrammen kommen den Patienten zugute. Ich selber beobachte, dass Ärzte, die sich in diese Richtung hin engagieren, es als intellektuelle Herausforderung betrachten. Es treibt sie an, sich mit Fachkolleginnen und anderen Institutionen anhand ihrer erzielten und von den Patienten bestätigten Behandlungsergebnissen messen und vergleichen zu lassen.

Es entspricht ihrem Leistungsverständnis, ihre Qualität transparent zu machen. „This is an unbelievably good concept. By learning from each other, we can really improve care for our patients.” (Yonne van Riet, breast surgeon, Catharina Hospital, Eindhoven).

Was halten Sie von Value-based Healtchare? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen unter margot.tanner@walkerproject.com. Lassen Sie mich Ihre Überlegungen bald wissen, denn Teil 2 der VBHC-Blog Serie ist bereits in Arbeit!

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