Skip to content

«Healing Architecture» ein Megatrend

Für viele Personen ist der Besuch eines Spitals mit negativen Erinnerungen behaftet. Beim Betreten kann man direkt den Geruch des Desinfektionsmittels oder des Essens der Cafeteria wahrnehmen. Bedrückend sind die dunklen und schmalen Gänge oder das grelle Licht. Auch die Farben sind für viele nicht ansprechend und lösen bedrückende Gefühle aus. Das Spital wird mit Krankheit und nicht mit Genesung verbunden. Diese Wahrnehmung soll sich nun ändern. Mittlerweile ist bewiesen, dass eine gute Architektur einen positiven Einfluss auf die Genesung von Patient*innen hat. Mit dem Megatrend «Healing Architecture» möchte man das Wohlbefinden der Patienten fördern, indem Faktoren wie Hygiene, Lärm, Stimmung und Licht beim Entwurf von Spitalbauten berücksichtigt werden und somit zur Genesung der Patient*innen beitragen.

Evidenzbasierte Konzepte

Das Design und die Architektur von Spitalbauten bieten ein grosses Innovationspotenzial. Es gibt viele Forschungsarbeiten, die diesen Trend unter die Lupe nehmen und positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit untersuchen.

«Healing Architecture» befolgt die folgenden sieben Grundprinzipien, welche die Lebensqualität, Patientenzufriedenheit und Behandlungsqualität erhöhen:

  1. Privatsphäre vs. Besuche: Räumlichkeiten müssen flexibel nutzbar sein und den Patient*innen die Möglichkeit geben, sich in Ruhe zurückziehen oder sich mit anderen zusammensetzen zu können, wenn dies gewünscht wird.
  2. Aussicht: Für stationäre Patient*innen trägt der Blick nach draussen zu einer schnelleren Genesung bei. Zum Einen wirkt dieser beruhigend, zum Anderen gelangt mehr Tageslicht in die Räumlichkeiten. Tageslicht kurbelt chemische Vorgänge in unserem Körper an, welche den Selbstheilungsprozess beschleunigen.
  3. Natur: Der Zugang zur Natur hat eine therapeutische Wirkung. In Spitalbauten, die keinen Zugang zur Natur haben, hilft bereits eine Bepflanzung in den Innenräumen.
  4. Komfort und Kontrolle: Besonders wichtig ist, dass die Patient*innen sich in ihrer Umgebung wohlfühlen und das Gefühl haben, diese auch kontrollieren zu können. Eine zentrale Rolle spielen hier Wärme, Licht aber auch die Geräuschkulisse. Das Empfinden ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Das Wohlbefinden der Patienten steigt, wenn sich diese Elemente vom Bett aus per Fernbedienung steuern lassen.
  5. Orientierung: Alle Räumlichkeiten sollen so gelegen sein, dass sich Patient*innen automatisch zurecht finden. Ist der Situationsplan nicht intuitiv fassbar, sorgt dies für ein höheres Stresslevel. Private und öffentliche Räume sollen klar abgegrenzt und Ein- & Ausgänge gekennzeichnet sein.
  6. Innenausstattung: Für das Design der Innenräume sollen Farben und Materialien genutzt werden, die luftig, hell und gemütlich wirken. Sie sollen zu jedem Zeitpunkt sauber und ordentlich wirken. Die Verwendung von Gemälden oder Skulpturen sollen Ablenkung schaffen.
  7. Trennung Patient*innen, Personal & Material: Wichtig ist bei der Raumplanung zu trennen, welche Räume ausschliesslich von Patient*innen, von Mitarbeitenden oder der Logistik genutzt werden. Wenn möglich kommen im Behandlungszimmer alle Leistungen zu den Patient*innen. Der Personal- & Materialfluss laufen räumlich getrennt ab.

Best Practices

Wie diese 7 Grundprinzipien architektonisch umgesetzt werden, zeigen die  nachfolgenden Best Practice Beispiele auf:

  1. Privatsphäre vs. Besuche: Im UMass Memorial Medical Center, Worcester, USA, können Mehrbettzimmer nicht mehr ausgelastet werden, da es aufgrund der Art der medizinischen Eingriffe eine steigende Nachfrage nach Privatzimmern gibt (mehr elektive Eingriffe, mehr isolierte Betten). Mit den neuen Privatzimmern können Patient*innen in einem separat abtrennbaren Raum ihre Angehörige empfangen oder sich je nach Bedürfnis zurückziehen.
  2. Aussicht: Vor allen in Grossstädten ist der Blick in die Natur schwierig umzusetzen. Das Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles, USA, löst dies mit leuchtenden Deckenpanels, welche einen Blick in den Himmel nachbilden.
  3. Natur: Das Northeast Georgia Medical Center, Gainesville, USA, hat erkannt, dass die Genesung nicht nur im Patientenbett stattfindet. Die Einrichtung schafft für ihre Patient*innen, Angehörige & Mitarbeitenden einen Ort der Erholung in der Natur.
  4. Komfort und Kontrolle: Das Cabrini Hospital Malvern, Melbourne, Australien, bietet ihren Patient*innen Einzelzimmer mit Hotel Feeling. Vom Bett aus lassen sich Licht und Jalousien mit einer Fernbedienung verstellen.
  5. Orientierung: Das Emma children’s hospital, Amsterdam, Niederlande, folgt dem Leitbild, eine qualitative Behandlung bei einer möglichst normalen Umgebung für Kinder anzubieten. Die Fachbereiche werden spielerisch anhand von verschiedenen Symbolen und Farben ausgewiesen, welchen die Kinder mit ihren Angehörigen folgen können, um an den richtigen Ort zu gelangen.
  6. Innenausstattung: Beim Betreten des Circle Hospitals, Bath, England, denkt man eher an ein Boutique Hotel mit warmen Farbtönen, kontemporärer Kunst und wunderschönen Blicken auf die umliegende Landschaft.
  7. Trennung Patient*innen, Personal & Material: Das Konzept des Orbis Medical Park, Sittard, Niederlanden, basiert auf einer Aufteilung des Spitals in drei separate Flüsse für Patient*innen, Mitarbeitende und Material. Vier Gebäude sind ausschliesslich der Behandlung von Patient*innen zugeteilt, ein Gebäude dem Material. Patient*innen befinden sich somit in einem ruhigen Umfeld, da Prozesse der anderen Flüsse räumlich separiert stattfinden. Flüsse kommen nur dort zusammen, wo unbedingt notwendig. Zeitaufwendiges Suchen nach Material und weite Wege werden reduziert.

Positive Effekte für Patient*innen

Wissenschaftliche Arbeiten zeigen eine Korrelation zwischen dem Design eines Spitals und der Genesung von Patient*innen auf. Wenn Design den oben beschriebenen Grundprinzipien folgt, kann eine Reihe an positiven Effekten erzielt werden:

  • Die Lebensqualität und die Patientenzufriedenheit von Patient*innen steigen signifikant an.
  • Sie weisen ein geringeres Stresslevel und einen geringeren Bluthochdruck auf.
  • Patient*innen benötigen vergleichsweise weniger Medikamente und haben einen ausgeglicheneren Schlafrhythmus.
  • Patient*innen halten sich häufiger an die von Ärzt*innen vorgegebenen Anweisungen zur Genesung.
  • Die Aufenthaltsdauer fällt kürzer aus.
  • Es kommt zu einer besseren Behandlungsqualität, da Ärzteschaft und Pflegepersonal ein niedrigeres Stresslevel, konstante Arbeitsleistung, sinkende Tendenz zu Streit und Unmut sowie eine niedrigere Burnout-Rate aufweisen.

Chirurgen aus dem Circle Hospital, einem Spital, welches versucht hat sämtliche Grundprinzipien umzusetzen, stellen fest, dass ihre Patient*innen aufgrund der Umgebung viel entspannter und ruhiger sind. Dadurch können häufiger Lokalanästhesien durchgeführt werden als vorher. Patienten sind dadurch nach dem Eingriff schneller wach und können früher mobilisiert werden. Weitere Beispiele berichten, dass ruhige Patient*innen eine niedrigere Herzfrequenz haben und dadurch seltener Blutungen während der Operation auftreten.

Design Thinking als Methode

Neben diesen evidenzbasierten Effekten gibt es solche, die in Studien noch nicht belegt werden konnten.

»Healing Architecture» fordert wesentliche Veränderungen hinsichtlich der Gestaltung von Prozessen und Räumen. Es benötigt ein tieferes Verständnis für die sogenannte Psychologie des Raumes, also einem Verständnis wie man Räume verwenden kann, um Menschen zusammenzubringen, ihnen in öffentlichen Räumen ein Gefühl der Privatsphäre zu bieten und wie man Bedürfnisse wie Sicherheit und Identität in Räumen umsetzen kann, die gemeinsam von Patient*innen und Personal genutzt werden.

Ein Ansatz, um die Psychologie des Raumes und die Grundprinzipien der „Healing Architecture“ in die eigene Planungswelt zu transferieren oder neue Prinzipien zu erarbeiten und zu testen, bietet sich durch die Methode des Design Thinking. Hier kann ein Team aus verschiedenen Fachbereichen und Berufsgruppen, welche später besonders von der Architektur und dem Design betroffen sind, Prozesse und Räume neu designen und anschliessend von Patient*innen testen lassen. Das Feedback wird berücksichtigt und in einem nächsten Schritt die Prozesse und Räume weiterentwickelt.

Design Thinking bietet somit die Möglichkeit, die bestehenden Grundprinzipien in funktionierende Lösungen umzusetzen oder gar neu zu erarbeiten und zu testen.

Ein Projekt, bei welchem das Design Thinking zum Einsatz kam, ist der Neubau eines Kinderspitals.  Ein interdisziplinäres Projektteam aus Ärzt*innen, Pflegenden und weiteren Professionen, hat Prozesse und Räume neu designt. Nach der ersten Entwicklungsphase wurden Kinder der örtlichen Schule, die späteren Nutzer, eingeladen, ein Feedback abzugeben. Sie haben sich u.a. keine zu privaten Räume und keine unheimlichen dunklen Gänge gewünscht. Das Ergebnis wurde ein Grundriss, welcher schlangenförmig ausgestaltet ist und ein informelles Umfeld mit offenen Mehrbettabteilungen schafft, welche klar von den Materialräumen getrennt sind.

Weitere Projekte beschäftigen sich mit Arbeitsplatzinnovation. Im Rahmen eines anderen Spitalneubaus wurden die Mitarbeitenden gebeten, ihren Arbeitsprozess neu zu denken und dabei zu berücksichtigen, dass die Patient*innen bei der Behandlung zu jedem Zeitpunkt im Fokus stehen. Im Projekt wurde schliesslich festgelegt, dass Patient*innen und nicht Ärzt*innen die „Eigentümer“ der Untersuchungsräume sind. Ärzt*innen und Pflegende kommen für die Konsultation oder Behandlung zu den Patient*innen. Für die Arbeit ohne Patient*innen arbeiten sie in interdisziplinären Büroräumen, sogenannten Wissenszentren. Diese Logik wurde in mehreren Runden weiterentwickelt und mit Patienten getestet.

Auch weitere Konzepte / Ideen lassen sich so überprüfen und als Grundprinzipien von „Healing Architecture“ umsetzen.

Die aus diesen Projekten entstehenden Gebäude haben nicht nur die Vision des Spitals sondern auch die des Patientenerlebnisses revolutioniert.

«Healing Architecture» bietet einen umfassenden Ansatz wie man Prozesse und Räume so gestalten kann, dass diese aktiv zur Genesung von Patient*innen beitragen.

Das Konzept sorgt zudem auch für weitere positive Effekte. So schafft dieses ein Umfeld, in dem Mitarbeitende effizienter und mit mehr Freude arbeiten. Offene Stellen können um 28% reduziert und Bewerbungen verdoppelt werden. Auch hinsichtlich Energieeffizienz entstehen Gebäude, welche den Energieverbrauch reduzieren.

»Healing Architecture» überzeugt somit nicht nur hinsichtlich der Effekte sondern kann auch hinsichtlich der Finanzierung einfach umgesetzt werden. Ein Spital, welches die Grundprinzipien der «Healing Architecture» befolgt, ist im Bau nicht teurer als ursprüngliche Spitäler, im Betrieb jedoch wirkungsvoller und effizienter. Wieso sollten wir weiterhin am konventionellen Design festhalten, wenn wir heilende Spitäler, in denen sich alle Beteiligten wohlfühlen, bauen können?

An den Anfang scrollen