Die Umsetzung des Gestaltungsprinzips "Trennung der Flüsse" im Projekt Neubau Kinderspital & Frauenklinik des LUKS.

«Form follows Function» im Spitalneubau – Teil 1
Im Planungsprozess für Spitalneubauten sprechen die Beteiligten nicht dieselbe Sprache. Architekt:innen sind Spezialist:innen für Ästhetik und räumliche Konzeption. Ärzt:innen und Pflegefachpersonen sind Spezialist:innen für die Arbeit an Patient:innen. Das Team von walkerproject moderierte für das Projekt Neubau Kinderspital & Frauenklinik des LUKS (Luzerner Kantonsspital) einen strukturierten Innovationsprozess nach den Prinzipien von Design Thinking und Lean Hospital.
Architekt:innen sind sich gewohnt, mittels Plänen und anderen visuellen Umsetzungen zu kommunizieren. Ärzt:innen und Pflegefachpersonen haben Patient:innen vor sich und nutzen Räume als Schutzhülle. Architekt:innen wissen wenig über den Spitalalltag und nutzen die dominanten Designs des Spitalbaus. Dem können die zukünftigen Nutzer:innen in der Regel nichts entgegensetzen. Das Team von walkerproject moderierte für das Projekt Neubau Kinderspital & Frauenklinik des LUKS (Luzerner Kantonsspital) einen strukturierten Innovationsprozess nach den Prinzipien von Design Thinking und Lean Hospital.
Ausgangspunkt für bessere Spitalbauten ist die Frage: Wie wollen wir zukünftig arbeiten? Wer diese Frage beantworten kann, ist im Vorteil. Spitalneubauten bestimmen für die kommenden 40 Jahre die Abläufe in einem Spital. Für die Erarbeitung der zukünftigen Arbeitsweisen nutzte das Projektteam die ehemalige Landi-Halle in Ebikon. Fünf interdisziplinäre Teams entwickelten an jeweils sechs Tagen Lösungen für den Neubau. Ausgehend von den zukünftigen Prozessen wurden Raumfunktionen definiert und anschliessend zueinander in Beziehung gebracht. Der letzte Schritt war die Übertragung in den Grundriss (Footprint) des zukünftigen Spitalbaus. Innovation wurde durch das Einbringen von Best Practices und das direkte Testen verschiedenster Arbeitsweisen ermöglicht. Das Projektteam holte sich regelmässig Rückmeldungen von Patient:innen, deren Angehörigen und Arbeitskolleg:innen. Dabei galt das Prinzip „Probieren geht über Studieren“.
walkerproject begleitete die Planung des Neubaus und präsentiert in dieser Blogserie ausgewählte Ergebnisse, die das Projektteam besonders herausgefordert haben. In all diesen Fällen ging es darum, ein dominantes Design des Spitalbaus zu durchbrechen. Im ersten Teil der Blogserie präsentieren wir die Ergebnisse zum sicheren Patientenzimmer. In den weiteren Teilen präsentieren wir fliesende Prozesse und die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
«Wir haben uns zuerst die Prozesse angeschaut, und haben dann unsere idealen Prozesse umgemünzt in einen Grundriss. Wir liessen uns coachen von den Experten, welche wir zur Verfügung hatten und haben die Herausforderungen gemeinsam gemeistert, als Team, sei es interprofessionell oder interdisziplinär.» (Alexander Donas, Leiter Interdisziplinäre Notfallstation INS, 22.6.21)
Das sichere Patientenzimmer
Bei einem stationären Aufenthalt verbringen Patient:innen die meiste Zeit in ihren Zimmern. Im Neubauprojekt des Luzerner Kantonsspitals ist vorgesehen, dass alle Zimmer der Normalstationen als Einzelzimmer ausgestaltet sind. Die Vorteile von Einzelzimmern liegen auf der Hand: die Zahl der Spitalinfektionen wird halbiert, die Fehlerrate wird reduziert und die Patienten-, Angehörigen- und Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert (Healthcare Design, 2011).
Das Design-Vorbild des sicheren Patientenzimmers gibt eine klare Strukturierung des Raumes in drei Zonen vor. Das Design-Vorbild ist patientenzentriert. Es gibt folgende Bereiche:
- eine Zone, in der das Behandlungsteam arbeitet
- eine Zone, in dem sich die Patient:innen aufhalten
- eine Familien- oder Angehörigenzone
Die Zone des Behandlungsteams grenzt direkt an den Flur an. Dadurch kann eine kontinuierliche Überwachung der Patient:innen gewährleistet werden (Pflege oder Ärzteschaft sieht die Patient:innen durch ein Fenster vom Flur aus ohne das Zimmer zu betreten) und das Behandlungsteam ist schnell bei den Patient:innen, falls diese Hilfe benötigen oder Fragen haben. In der Flurwand sind zweiseitig bedienbare Schränke integriert. Die Logistik kann daher die Regale vom Flur aus befüllen und braucht nicht das Patientenzimmer zu betreten. Die Mitarbeitenden haben einen direkten und kurzen Zugang zu Hilfsmitteln, Verbrauchsmaterial, etc., so dass es nur selten nötig ist, die Familien- oder Angehörigenzone zu begehen. Letztere ist entlang der Aussenwand positioniert. Dadurch können Familie und Angehörige von viel Tageslicht profitieren.

Sichtbarkeit der Patient:in
Im Idealfall schliesst sich die Nasszelle an die Familien- oder Angehörigenzone an, sprich sie ist an der Aussenwand positioniert. Dadurch haben Patient:innen einen kürzeren Weg ins Bad (die Türe befindet sich parallel zum Bett) und die Sturzwahrscheinlichkeit sinkt. Das Betreuungsteam hat freie Sicht auf ihre Patient:innen (keine weiteren Wände blockieren das Sichtfeld), somit können diese durch eine Fensterfront kontinuierlich vom Flur aus überwacht werden, ohne dass das Betreuungsteam das Zimmer betreten muss.
In aktuellen Neubauten werden die Nasszellen entlang des Flurs angeordnet. Es ist das dominante Design für Spitalneubauten in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Aus prozessualer Sicht wäre die Platzierung der Nasszelle an der Fassade vorteilhaft. Das bedingt für alle der beteiligten Planer ein komplettes Umdenken. Die Versorgung der Bettenstationen geschieht in Fassadennähe, was gleichzeitig eine höhere Flexibilität ermöglicht, falls es einmal zu einer Umnutzung kommen sollte.
In der Intensivmedizin ist die Sichtbarkeit der Patient:in ein zentrales Sicherheitskriterium. Glastüren oder bodentiefe Fenster dienen als Zimmerunterteilung, welche eine bessere Sichtbarkeit und Überwachung von Patient:innen vom Flur und anderen Zimmern aus ermöglichen. Daher ist es für Mitarbeitende und ihre Arbeit unterstützend, wenn sich die Nasszellen an der Aussenwand befinden (Gallant, D., & Lanning, K., 2001, S. 8).
Zonen im Patientenzimmer
In der Umsetzung des Neubaus des LUKS hat das Projektteam die Patientenzimmer in drei Zonen aufgeteilt. Das Behandlungsteam arbeitet im vorderen Bereich und hat somit kurze Wege vom Flur zu den Patient:innen. Schränke am Zimmereingang können vom Gang her befüllt werden und dadurch störende Interaktionen mit den Patient:innen reduzieren. Zusätzlich wurden die Schränke abgeschrägt, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Die Verortung der Nasszelle an die Fensterfront konnte leider aufgrund von planerischen Gegebenheiten nicht umgesetzt werden. Eine Verortung an der Fensterfront hätte in diesem Projekt zu baulichen Verzögerungen und Mehrkosten geführt. Die Fensterfront bleibt somit frei und bietet den Patient:innen und Angehörigen viel Tageslicht. Die Sichtbarkeit der Patient:innen von der Tür aus kann auch bei dieser Variante weitgehend sichergestellt werden. Hier hat man einen gangbaren Kompromiss zwischen dominantem Design und Anforderungen des sicheren Patientenzimmers gefunden.

Gemäss dem Architekten Raphael Bollhalder gibt es unterschiedliche Gewichtungen der Anforderungen, welche an ein zeitgenössisches Patientenzimmer gestellt werden: „Es gibt eine prozessoptimierte Sichtweise, eine baulich-funktionale Herangehensweise, individuelle Bedürfnisse der Betreiber und schlussendlich aber auch ästhetisch- architektonische Komponenten, welche allesamt ihre Wichtigkeit haben. Die Schwierigkeit besteht darin, eine ausgewogene Interessensabwägung zu finden ohne zu grosse Kompromisse eingehen zu müssen. Uns interessiert das ganzheitliche, sichere Patientenzimmer der Zukunft. Wir hoffen, dass wir im Projekt des LUKS einen Beitrag dazu leisten.“ (Raphael Bollhalder, Bollhalder Eberle + Burkard Meyer, 21.6.2021).

Hier geht es zum zweiten Teil der Blog-Serie.