Im Gesundheitswesen weiss man, wie wichtig die Stimmen der Patientinnen und Patienten sind. Die meisten…
Ein Rückblick auf die Pandemie aus Sicht eines Assistenzarztes
Die aktuelle Pandemie ist für alle Berufsgruppen eine schwierige Zeit. Wie geht es dem ärztlichen Personal seit Ausbruch der Pandemie und was hat sich verändert? Wir haben bei Dr. med Joël Galán Sousa nachgefragt.
Die Corona-Krise prägt den Alltag von uns allen. Wie erleben Sie in Ihrem Haus die Pandemie? Wie verändert die Corona-Krise Ihren Arbeitsalltag?
Ich erinnere mich noch gut an den Beginn der Pandemie, da dieser genau mit dem Start meiner eigenen Facharztausbildung zusammenfiel. Obwohl ich während des Verlaufs dieser Pandemie ausbildungsbedingt zweimal die Institution gewechselt habe, habe ich doch häufig ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist mir wichtig zu betonen, dass die Einschränkungen im Rahmen der Pandemie das Fachgebiet der Psychiatrie, dass für eine gute und patientenzentrierte Arbeit doch so sehr auf den emotionalen Kontakt und das gegenseitig «sich-sehen» angewiesen ist, meiner Meinung nach mehr oder vielleicht anders als die somatischen Fächer von der Pandemie betroffen war. Dominierte zunächst neben den praktischen Einschränkungen im Rahmen konkreter Schutzmaßnahmen sicherlich ein Gefühl starker Unsicherheit und Angst, traten wir mit zunehmender Verbesserung der Informationslage bezüglich des Virus und seiner Verbreitung sowie eines sich professionalisierende Krisenmanagements nach und nach in eine Phase ein, in denen nach kreativen und teils unkonventionellen Lösungen gesucht werden musste, um unseren Patientinnen und Patienten eine adäquate psychiatrische Behandlung und Betreuung zu ermöglichen.
Dr. med. Joël Galán
Assistenzarzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf ihre Arbeitsbedingungen? Wie war es vorher, wie ist es heute?
Einen Teil der Auswirkungen habe ich bereits in meiner Antwort auf die vorherige Frage beschrieben. Sicherlich wurden viele Aufgaben aufgrund der Schutzmaßnahmen schwieriger und langwieriger und viele Probleme erforderten kreative Lösungen, welche erst einmal gefunden oder erdacht werden wollten. Darüber hinaus kam es aber insbesondere durch den, verständlichen, Beschluss der Spitäler, potenzielle Pandemie- oder isolationsbedingte Krankheitsausfälle frühzeitig kompensieren zu können, zu einer höheren Arbeits- und Dienstbelastung, beispielsweise durch die Einführung von Pikettdiensten sowie spontane Dienstausfälle und -übernahmen. Darüber hinaus spürte man, je nach der vorherrschenden Pandemiedynamik und den daraus resultierenden Maßnahmen, die emotionale Belastung und teils negative Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen, insbesondere, da für unsere Arbeit kein «Home-Office» oder ähnliche Formate denkbar waren. Unsere Patientinnen und Patienten brauchten uns vor Ort und gerade zu Beginn stand man dabei dem Risiko einer Infektion recht schutzlos gegenüber. Aber man spürt, wie es bezüglich der Arbeitsbedingungen nach und nach zu einer Entspannung und Normalisierung kommt. Dienstausfälle werden aufgrund aufgehobener Isolationsmaßnahmen und schleichender Durchseuchung der Belegschaft seltener, und mit aufgehobenen und entschärften Schutzmaßnahmen entspannt sich die Situation zunehmend. Inwieweit sich die Arbeitsbedingungen in der Psychiatrie beziehungsweise der Medizin allgemein durch die vielfach diskutieren Belastungen durch Folgeerkrankungen einer Infektion mit CoVID-19 (Stichwort «Long-Covid») sowie die psychischen Langzeitfolgen dieser beispiellosen Pandemie verändern werden, bleibt abzuwarten.
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Ihre ärztliche Weiterbildung?
Vorausgehend ist zu betonen, dass allein die Tatsache, dass ich (und auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen) das ärztliche Arbeiten, abgesehen vom Dasein als Medizinstudent und Praktikant, nicht ohne das Bestehen einer weltweiten Pandemie und weitreichenden Schutzmaßnahmen kenne, ist einzigartig. Darüber hinaus beeinflusste die Pandemie die ärztliche Weiterbildung einerseits auf ganz konkrete Art und Wiese, andererseits aber auch sehr subtil. Zu Beginn der Pandemie waren sicherlich vor allem die häufig ersatzlos gestrichenen Weiterbildungsveranstaltungen problematisch. Zwar wurden diese im weiteren Verlauf zunehmend wieder aufgenommen, aber häufig nur in einem digitalen oder hybriden Format, einer Vor-Ort-Veranstaltung mit reduzierter Gruppengröße oder mit großen Abständen zwischen den einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Neben dem Fehlen einer expliziten Wissensvermittlung gab es jedoch noch viele weitere weniger deutlich spürbare Einschränkungen. Beispielhaft möchte ich hier das viel diskutierte, meiner Meinung nach aber zum gegenseitigen Schutz alternativlose, Tragen einer Gesichtsmaske nenne. Dies erschwerte beispielsweise das Erheben eines psychopathologischen Befundes, ein Kernstück unserer psychiatrischen Diagnosestellung oder aber das Erlernen psychotherapeutischer Fähigkeiten in Rahmen einer Psychotherapie oder bei psychiatrischen Notfällen. Natürlich entwickelte man im Verlauf Alternativen und gewann die Fähigkeiten trotzdem, doch finde ich es beeindruckend und auch beunruhigend, dass ich seit dem Start meiner Ausbildung fast keine Patientinnen und Patienten ohne Maske gesehen, geschweige denn behandelt habe.
Gibt es Änderungen, die mit der Pandemie ausgelöst wurden, welche Sie auch in Zukunft beibehalten möchten?
Um ehrlich zu sein: Unverändert und unreflektiert möchte ich keine der durch die Pandemie ausgelösten Veränderungen in der Zukunft beibehalten. Zweifelsohne haben viele Menschen direkt oder indirekt enorm unter den Folgen dieser Pandemie gelitten und tun es teilweise bis heute. Ohne dieses Leid in Frage zu stellen, war ich trotzdem auch immer wieder über die Flexibilität unserer Gesellschaft überrascht, die sich trotz aller Widrigkeiten innerhalb kurzer Zeit auf die Probleme einer bis anhin nicht bekannten Herausforderung einstellte und viele kreative Lösungen fand. Insbesondere das «rasche» Aufbrechen alter Denkmuster sowie das «Neudenken» in vielen Bereichen, und hier möchte ich als Beispiel nur die Möglichkeit einer Fernbehandlung zum Beispiel im psychotherapeutischen Setting oder die Möglichkeit einer Arbeit im Home-Office nennen, ist etwas, das uns auch über die Pandemie hinweg erhalten bleiben sollte. Ferner bewerte ich sehr positiv, dass nach der Anfangsphase, in der insbesondere die unmittelbaren und häufig schwerwiegenden Krankheitsfolgen sichtbar waren, nach und nach auch die psychischen Belastungen der Gesellschaft und des einzelnen Menschen in den Fokus traten und damit sichtbarer wurden. Dieses «darüber-reden» und die Tatsache, dass wir alle auf die eine andere Art psychisch belastet waren, führte sicherlich zu einer gewissen Entstigmatisierung dieser Thematik und zu einem erweiterten Bewusstsein bezüglich der Bedeutung psychischer Belastungen und Erkrankungen. Ich wünsche mir sehr, dass wir diese gewonnene Offenheit und den gegenseitigen Austausch beibehalten und weiter ausbauen. Darüber hinaus könnte ich mir gut vorstellen, dass digitale Angebote, beispielsweise hybride Veranstaltungen oder die Möglichkeit für Menschen auch an Online-Angeboten teilzunehmen, fortbestehen oder ausgebaut werden. Dabei ist es meiner Meinung nach aber sehr wichtig, dass es parallel dazu nicht zu einer Reduktion vorhandener «Offline»-Angebote kommt. Ob diese Parallelität funktioniert oder ob sich längerfristig doch eine Richtung als zukunftsträchtiger erweisen wird, bleibt abzuwarten. Was ich für mich in meiner Arbeit als Arzt mitnehmen ist, dass eine wertvolle Arbeit für unsere Patientinnen und Patienten auch unter widrigsten Umständen möglich war; etwas was mich Stolz macht und mich hoffnungsvoller in die weitere Zukunft blicken lässt. Dennoch ist mir heute klarer als zuvor, wie vulnerabel unsere Patientinnen und Patienten und teilweise auch man selbst und wie wichtig das Fortbestehen professioneller Hilfsangebote auch in Krisenzeiten für eine hohe Lebensqualität ist.
Ist Ihnen bei der Wahl der Stelle/Spitals etwas wichtiger geworden?
Bezüglich dieser Frage bin ich mir nicht sicher. Neben den klassischen Faktoren wie Karrierechancen, Weiterbildungsangebot, Arbeitsbelastung, Gehalt etc. pp., die weiterhin eine sehr wichtige Rolle spielen, glaube ich, dass mir insbesondere eine klare und offene Kommunikation bezüglich der Maßnahmen und möglicher Fehler und Versäumnisse wichtig ist. Auch wünsche ich mir von meinen Vorgesetzten einen umsichtigen Umgang mit dem Personal und eine Sensibilisierung der höheren Stellen und Verwaltung bezüglich der Last, die wir als Ärzte und Therapeutinnen tragen mussten und stellenweise noch immer müssen und wie Entlastungen möglich sind.
Wo stoßen Sie in ihrem Alltag an Ihre Grenzen?
Noch am Anfang des Jahres stießen wir insbesondere aufgrund der vielen Krankheitsausfälle und Isolationen im Rahmen der Omikron-Welle an unsere Grenzen. Es war zunehmend schwerer allen Patientinnen und Patienten gerecht zu werden und gleichzeitig das Spital «am Laufen» zu halten und man bemerkt, dass viele Kolleginnen und Kollegen einschließlich mir selbst nach 2 Jahren Pandemie angeschlagen und bezüglich der Arbeitslast am Limit waren. Glücklicherweise ist mit dem Frühjahr sowie der zunehmenden Impfquote und Durchseuchung eine Entspannung der Situation eingetreten und zurzeit stoße ich persönlich nicht mehr an meine Grenzen.
Was würde Ihnen die Arbeit erleichtern?
Die Corona-Pandemie hat meiner Meinung nach die Probleme im Gesundheitssystem nicht ausgelöst aber verschärft, offengelegt und für viele Menschen erstmals sichtbar gemacht. Grundsätzlich ist es weiterhin die hohe Belastung aus der ärztlichen Arbeit und der gerade im Fach der psychiatrischen zeit- und geldintensiven Weiterbildung, die belastend und schwierig zu bewältigen ist. Konkret würde insbesondere in der stationären Versorgung ein höherer Personalschlüssel, sowie eine Reduktion der Arbeitszeit, die für Assistenzärztinnen und -ärzte inklusive Weiterbildung noch immer bei 50-Wochenstunden liegt, sicherlich für eine deutliche Entlastung sorgen.
Welche Veränderungen im Gesundheitswesen wünschen Sie sich für die Zukunft?
Über eine korrekte Antwort auf diese Frage streiten Expertinnen und Experten sowie die Gesellschaft insgesamt schon lange, ohne dabei eine grundsätzliche Einigkeit zu finden. Auch ich maße mir nicht an, hier eine umfassende oder korrekte Antwort geben zu können und beschränke mich daher auf das Grundsätzliche. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Arbeitslast für alle (!) Berufsgruppen im Gesundheitssystem reduziert werden sollte, was natürlich nur mit mehr Stellen und letztlich mehr Geld möglich ist. Dafür muss neben gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen aber auch das historisch gewachsene Verständnis vom selbstlosen und aufopfernden Wesen der Menschen im Gesundheitsberufen abgelegt werden und es muss anerkannt werden, dass auch diese Menschen sowohl physische als auch emotionale Grenzen haben, die eingehalten werden müssen. Darüber hinaus sollten aber auch dringend die Arbeitsabläufe und Prozesse, sowohl im Gesundheitssystem insgesamt als auch in den einzelnen Spitälern auf die Bedürfnisse der Ärzte und Ärztinnen, Pflegenden und anderer Berufsgruppen hin optimiert und beispielsweise Aufgaben der Dokumentation und Administration auf ein Minimum reduziert oder an spezialisierte Berufsgruppen ausgelagert werden, anstatt mehr und mehr dieser Aufgaben zu schaffen und zu verteilen. Die freiwerdende Zeit sollte dann den Menschen im Gesundheitssystem ermöglichen, mehr Zeit mit den ihnen anvertrauten Menschen zu verbringen, etwas, das jeder, der schon einmal auf die Hilfe im Spital oder der Praxis angewiesen ist, zu schätzen weiß. Letztlich müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, was uns das Gesundheitssystem wert ist und wie wir die darin arbeitenden Menschen behandeln wollen. Ich denke es lohnt sich für alle, hier nicht zu sparen.
Seit dem Ausbruch kämpften viele Menschen mit ihrem psychischen Wohlbefinden. Welche Tipps geben Sie Ihren Patientinnen und Patienten zur Gestaltung des Alltags und der Herausforderungen?
Diese Frage hätte ich zu Beginn der Pandemie sicherlich anders beantwortet als ich es jetzt, mehr als 2 Jahre nach dem Beginn tue. Ich habe das Gefühl, dass zu Beginn vielen Menschen ihren Alltag noch besser strukturieren konnten und sich ja auch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl in der Bevölkerung einstellte. Somit waren die Tipps damals vor allem das Aufstellen einer klaren Tagesstruktur mit entsprechenden Abläufen und Ritualen, sozusagen um den durch äußere Strukturen vorgegebenen Takt beizubehalten. Gleichzeitig sollten alle Möglichkeiten zum Herstellen und Beibehalten sozialer Kontakte genutzt werden, da gerade zu Beginn vielen Menschen und übrigens auch mir nicht klar war, wie viel weniger wir mit anderen Menschen in Kontakte getreten sind. Bei unseren Patientinnen und Patienten kommt erschwerend dazu, dass sie häufig grundsätzlich ein kleineres soziales Netz haben und mehr auf externe Strukturen und Unterstützungsangebote angewiesen sind; etwas was durch die Einschränkungen stärker beeinträchtigt wurde. Während auch mich zwischenzeitlich eine starke «Pandemiemüdigkeit» ereilt hat, blicke ich heute wieder deutlich positiver in die Zukunft und freue mich jetzt, wie wahrscheinlich viele andere auch, auf den ersten Sommer ohne Einschränkungen seit 2 Jahren!
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