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Patientensicherheit

Patientensicherheit ist eine systemische Herausforderung

Ein Spitalaufenthalt kann gefährlich werden.

Zum Herbstbeginn sorgte eine wissenschaftliche Studie* zu unerwünschten Ereignissen in einem mittelgrossen Spital in der Westschweiz für Gesprächsstoff. Diese erste derartige Untersuchung des Schweizer Gesundheitswesens förderte besorgniserregende Zahlen und Zusammenhänge zu Tage. Untersucht wurde der stationäre Spitalaufenthalt von 400 internistischen und 600 chirurgischen Patienten, mit folgenden Ergebnissen:

  • 12.3% der Fälle erlebten ein unerwünschtes Ereignis (sog. adverse event, d.h. eine Beeinträchtigung oder unbeabsichtigte Komplikation, verursacht durch den Spitalaufenthalt an sich)
  • Die Hälfte (6.4%) der Zwischenfälle wäre vermeidbar gewesen.
  • Beinahe ein Viertel (23%) der Ereignisse hatten eine schwere Beeinträchtigung zur Folge. Bei weiteren 60% der Fälle blieb es bei geringen Beeinträchtigungen.
  • Vermeidbare Zwischenfälle führten häufiger zu schweren Schädigungen wie nicht-vermeidbare.
  • Chirurgische Patienten waren 2x häufiger betroffen.
  • Die Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls erhöhte sich mit dem Alter des Patienten und mit der Aufenthaltsdauer.

Olivier Peters (Stv. CEO der Centre hospitalier universitaire vaudois) äusserte sich in einem Artikel im „Le Matin Dimanche“ zu den Ergebnissen. Er betonte, dass diese Zahlen in einem ähnlichen Bereich liegen, wie bei früheren Studien in andern Ländern. Er kommt zum Schluss, dass sich pro Jahr bei einer Million stationären Patienten rund 1’200-3’000 Todesfälle, ausgelöst von unerwünschten Ereignissen, vermeiden liessen. Doch wie soll das gelingen?

Lernen von anderen Branchen

Der Klinikalltag ist komplex. Eine Vielzahl von interdisziplinären und interprofessionellen Leistungen müssen zuverlässig miteinander koordiniert werden. So entstehen medizinische Qualität, Sicherheit und ein gutes Patientenerlebnis. All dies stellt höchste Anforderungen an eine Organisation. Zwischenfälle und Ereignisse mit gravierenden Folgen sensibilisieren dafür, dass die Systemleistung Schwachstellen aufweist.

Auch in der Luftfahrt setzt man sich intensiv mit Zwischenfällen oder im gravierenden Fall, mit Unfällen auseinander. Tatsache ist: Es gelang der Branche, ein bemerkenswert hohes Sicherheitsniveau zu erreichen. Kein Zweifel – ohne dies wäre die Luftfahrt nie kommerziell erfolgreich geworden. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, dass Risiken auch systemisch verstanden werden.

Vielfach sind es nicht einfach einzelne Fehlhandlungen (z.B. eine falsche Höheneinstellung) oder individuelle Nachlässigkeiten (z.B. ein Standard wird nicht vollständig eingehalten), die zu einem unerwünschten Ereignis führen. Vielmehr liegen die Auslöser im komplexen Wechselspiel zahlreicher Einflussfaktoren begründet. Im obigen Beispiel wird der Pilot vielleicht gerade unterbrochen, als der Fluglotse die Höhendurchsage macht. Oder der Standard wird nicht vollständig eingehalten, weil er nicht mehr tagesaktuell ist. Die Luftfahrt hat deshalb eine hohe Sensibilität für die Abläufe im täglichen, komplexen Geschehen entwickelt, um Schwachstellen im Gesamtsystem zu detektieren. Wie muss der Ablauf gestaltet sein, damit der Pilot in sensiblen Flugphasen nicht gestört wird? Was hindert jemanden daran, eine Abkürzung zu einem Standard zu wählen? Es wird somit nicht mehr nur der Mensch am scharfen Ende betrachtet, sondern es wird auch nach latenten Bedingungen gesucht, die im System am dumpfen Ende schlummern.

PatientensicherheitLean Hospital als Ansatz für mehr Patientensicherheit

Lean Hospital bedeutet für eine Organisation, sich auf radikale Weise an den Bedürfnissen ihrer Patienten auszurichten. Alles, was nicht dazu beiträgt, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden oder ihnen sogar diametral entgegenläuft, gilt es zu eliminieren. Lean bedeutet aber auch „Respekt für den Einzelnen“ – gehen davon aus, dass alle Mitarbeitenden nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten. Diese Überlegung führt zu zwei Lösungsansätzen:

Das Arbeitsumfeld muss so gestaltet werden, dass Fehler möglichst unwahrscheinlich werden. Die Lean Taktiken helfen dabei. Ein Arbeitsschritt wird nach dem Prinzip der Soforterledigung abgeschlossen, bevor ein neuer begonnen wird. Probleme werden dort gelöst, wo sie entstehen. Routineaktivitäten werden konsequent standardisiert. Das Geschehen wird sichtbar gemacht. Spitzenbelastungen vermeiden. Insgesamt bleibt durch die andere Arbeitsweise mehr Zeit für das, was wirklich zählt: das Wohlergehen der Patienten.

Jeder Fehler, der dennoch passiert, muss als Chance für eine Verbesserung verstanden werden. Dies bedeutet, die Ursachen zu verstehen und geeignete Anpassungen an den Arbeitsbedingungen vorzunehmen. Lean bedeutet auch ein Kulturwandel. Eine tagesaktuelle und transparente Führung sowie konstruktiver Umgang mit Fehlern ermöglichen, dass Probleme aufgedeckt und effektiv angegangen werden können. So entsteht eine Organisation, die kontinuierlich besser wird. Und dem Ziel eines 100%-komplikationsfreien Spitalaufenthalts Schritt für Schritt näherkommt.

Quellen:

Patricia Halfon, Anthony Staines, Bernard Burnand: « Adverse events related to hospital care: a retrospective medical records review in a Swiss hospital», in: «International Journal for Quality in Health Care», Juni 2017.

** Weltweite Flugbewegungen

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